I.

1. Betriebsschließungs-, Praxisausfall-, Betriebsunterbrechungsversicherung

Für den Fall behördlicher Schließungen nach dem Infektionsschutzgesetz haben zahlreiche Unternehmer, vornehmlich im Bereich Hotel, Gaststätten, Lebensmittelhandel und Heilwesen, mit dem Abschluss einer Betriebsschließungs-, Praxisausfall oder im Rahmen einer Betriebsunterbrechungsversicherung mit entsprechend zusätzlich vereinbarten Deckungserweiterung vorgesorgt. Welche Voraussetzungen zur Annahme des Versicherungsfalls konkret vorliegen müssen, ist den vereinbarten Versicherungsbedingungen zu entnehmen.

2. Ertragsausfallversicherung

Eine Ertragsausfallversicherung greift in solchen Pandemiefällen – vorbehaltlich besonderer Vereinbarungen in den allgemeinen Versicherungsbedingungen oder sog. All-Risk-Vereinbarungen – in der Regel nicht. Die Ertragsausfallversicherung ist als Schutz vor Folgen eines durch die versicherten Gefahren (z.B. Feuer) verursachen Sachschaden und damit verbundenen Betriebsbeeinträchtigung oder -unterbrechung ausgestaltet. Eine Pandemie gehört regelmäßig nicht zu den versicherten Gefahren.

II.

Die Versicherer lehnen in der Regel die Leistung aus der Betriebsschließungs- oder Praxisausfallversicherung ab mit folgenden Begründungen:

1. Es sei nur das Einzelfallrisiko aus dem versicherten Betrieb, nicht aber der Epidemie-/Pandemiefall versichert

Gegenstand des Versicherungsvertrages sei nach Ansicht mancher Versicherer die Absicherung eines Einzelfallrisikos, mithin die Absicherung eines einzelnen Betriebes und nicht die Absicherung im Falle einer Pandemie oder Epidemie. Versichert sei nur die Gefahren, welche aus dem Betrieb oder seinen Mitarbeitern (sog. intrinsische Gefahr), nicht aber von außerhalb des Betriebes herrührenden. 

Aber steht das so wirklich in den Versicherungsbedingungen, welche dem Versicherungsvertrag zugrunde liegen?

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 14. Juli 2021 – IV ZR 153/20; st. Rspr.).

a.

Ausweislich der meisten Versicherungsbedingungen leistet der Versicherer Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger z.B. den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt.

Ausweislich der AVB ist in der Regel also Voraussetzungen, dass “zuständige Behörde den Betrieb geschlossen haben muss”.

Mit den gemeinsamen Beschlüssen sowie den begleitenden ChefBK/CdS-Beschlüssen sowie die Entscheidungen des Corona-Kabinetts wurden seit 16.03.2020 u.a. Gastronomiebetriebe (ausgenommen die Lieferung und Abholung mitnahmefähiger Speisen für den Verzehr zu Hause), Bars, Clubs, Diskotheken, Kneipen und ähnliche Einrichtungen für den Publikumsverkehr schrittweise geschlossen.

Begründet wurden und werden diese Maßnahmen mit der Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland durch das Coronavirus (seit 11.02.2020 als schweres akutes Atemwegssyndrom, kurz: „Sars-CoV-2“ genannt), welches sich seit 2019 zu einer Pandemie entwickelte (daher Corona Virus Desease – kurz: Covid-19). Der Deutsche Bundestag stellte vormals eine epidemische Lage von nationaler Tragweite fest (Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020, BGBl. 2020, Teil I Nr. 14, Seite 587 ff.). Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a.F. hat daher die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen anzuordnen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Zur Verhinderung einer weiteren schnellen Verbreitung des Corona-Virus wurde als ultima ratio die Schließung sämtlicher gastronomischer Betriebe mit Ausnahme der Abgabe von mitnahmefähigen Speisen und Lieferdiensten angeordnet.

Zuständig für Maßnahmen zum Vollzug des Infektionsschutzgesetzes (IfSG)) sind die jeweiligen Bundesländer selbst. Nach Landesrecht können die jeweiligen Landesregierungen durch Rechtsverordnungen bestimmen, welche Behörden entsprechende Gebot und Verbote aussprechen dürfen. Dementsprechend wurde, in der Regel per Allgemeinverfügungen, die Schließung von Restaurants, Gaststätten und Hotels angeordnet.

In der Regel dürfte daher kein Zweifel daran bestehen, dass die zuständige Behörde gehandelt und diese die Betriebsschließung angeordnet hat.

b.

Dass sich die Betriebsschließung unmittelbar und einzig an den versicherten Betrieb richten müsse, also eine Einzelfallentscheidung darstellt, ist so in den meisten AVB gerade nicht gefordert.

Die Art und Weise der Betriebsschließung, sei es als ein an den versicherten Betrieb gerichteten Verwaltungsakt oder als Allgemeinverfügung, ist in den AVB weder geregelt noch kann dies den Versicherungsschutz beeinträchtigen.

Auch eine Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, mithin eine Einzelfallentscheidung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, nur mit dem Unterschied, dass sich diese zur Vereinfachung und Beschleunigung an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet. Im Ergebnis wird in jedem Fall die Schließung des Betriebes wegen einer meldepflichtigen Krankheit durch die zuständige Behörde angeordnet. Dies kann im Übrigen auch bei der Anordnung zur Isolierung einer Gemeinde zum Quarantänegebiet gelten, denn diese kommt einer Betriebsschließung gleich.

c.

Auch der Bundesgerichtshof hat in seinen Urteil vom 26.01.2022 (Az.: IV ZR 144/21) zum dortigen Sachverhalt entschieden, dass der Eintritt des Versicherungsfalles nicht die Verwirklichung einer aus dem Betrieb selbst erwachsenden, sogenannten intrinsischen, Infektionsgefahr voraussetzt.

Zumindest lässt sich dies für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer aus den Versicherungsbedingungen oft nicht mit der erforderlichen Klarheit entnehmen.

Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer machte es auch keinen Unterschied, ob sich die Gefahr aus seinem Betrieb oder aus von außerhalb herrührenden Umständen ergibt. Beides führt zur Betriebsschließung und dem Ertragsausfallschaden, gegen welchen sich der Versicherungsnehmer mit der Betriebsschließungsversicherung vor Ertragsausfällen infolge behördlich angeordneter Betriebsschließungen schützen möchte.

2. Das Corona-Virus ist in den Bedingungen nicht aufgelistet

Ebenfalls lehnen manche Versicherer ab, weil alle meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne der Bedingungen dort abschließend aufgezählt seien, das Corona-Virus aber eben nicht. Weiter wird argumentiert, dass etwaige Änderungen im Infektionsschutzgesetz keine Rolle spielen würden, da alleine maßgeblich die abschließende Aufzählung der auslösenden Erreger in den Bedingungen sei.

a.

Dem kann – spätestens seit 01.02.2020 – widersprochen werden.

Soweit in den AVB pauschal auf das IfSG verwiesen wird, ohne dass die meldepflichtigen Krankheiten oder auslösenden Erreger einzeln aufgezählt werden, besteht Versicherungsschutz, wenn eine zu diesem Zeitpunkt im IfSG genannte meldepflichtige Krankheit zu einer Schließung führt. Der Versicherungsschutz richtet sich in diesem Fällen nach dem zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles geltenden Umfang des IfSG und wird bei dessen Aktualisierung geändert, mithin ab der Aufnahme neuer meldepflichtiger Krankheiten automatisch erweitert.

Das Corona-Virus wird seit dem 01.02.2020 mit der Verabschiedung und dem Abdruck im Bundesanzeiger vom 31.01.2020, der CorViMV, unter § 6 Infektionsschutzgesetz (IfSG) aufgenommen. Die Pflicht zur namentlichen Meldung nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Infektionsschutzgesetzes wurde demnach auf den Verdacht einer Erkrankung, die Erkrankung sowie den Tod in Bezug auf eine Infektion ausgedehnt, die durch das erstmals im Dezember 2019 in Wuhan/Volksrepublik China aufgetretene neuartige Coronavirus („2019-nCoV“) hervorgerufen wird.

Damit umfasst seit dem 01.02.2020 der Versicherungsschutz solcher Versicherungen ohne Aufzählung der meldepflichtigen Krankheiten auch die Betriebsschließung wegen des Coronavirus.

Das Infektionsschutzgesetz wurde mit Wirkung ab dem 23.5.2020 geändert. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 IfSG wurde um den Buchstaben t „Coronavirus- Krankheit-2019 (COVID-19)“ und § 7 Abs. 1 S. 1 IfSG um die Nr. 44a „Severe-Acute- Respiratory-Syndrome-Coronavirus (SARSCoV) und Severe-Acute-Respiratory-Syndrome- Coronavirus-2 (SARS-CoV-2)“ erweitert.

b.

Aber auch wenn in den AVB die meldepflichtigen Krankheiten oder auslösenden Erreger aufgezählt werden, so führt dies nicht automatisch zur berechtigen Ablehnung des Versicherungsschutzes.

Die Aufzählungen in den AVB werden von den Versicherern gerne als „abschließend“ bezeichnet, sind es aber in der Regel gar nicht sind. Zumindest gibt der Wortlaut für diese Annahme oft nichts her.

Vielmehr wird in den AVB ausdrücklich, umfangreich und mehrfach Bezug genommen auf die §§ 6 und 7 IfSG. Regelmäßig sind die in den Versicherungsbedingungen aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger absolut deckungsgleich mit der Auflistung im IfSG zum Zeitpunkt der Fassung der AVB. Die Versicherer bringen damit und dem expliziten Verweis selbst zum Ausdruck, dass die in §§ 6, 7 IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserreger maßgeblich sein sollen.

Zumindest dürfte ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs dies so verstehen.

In Rechtsprechung und Literatur war lange streitig, ob die in der entsprechenden Klausel genannten Krankheiten und Krankheitserreger nur beispielhaft aufgelistet werden und eine dynamische Verweisung der Bedingungen auf das Infektionsschutzgesetz vorliegt oder ob der Katalog in den Bedingungen abschließend ist.

Hierzu hat der Bundesgerichtshof hat in seinen Urteil vom 26.01.2022 (Az.: IV ZR 144/21) in dem dort zugrunde liegenden Sachverhalt entschieden, dass diese Aufzählung der vom Versicherungsschutz umfassten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger in dortigen Klausel abschließend sei.

Die Klausel enthalte insoweit keine Verweisung auf §§ 6 und 7 IfSG. Dies gelte insbesondere auch dann, wenn Zusätze wie „zum Beispiel“ oder „unter anderem“ fehlen. Mit den ggf. detailliert aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger werde der (begrenzte) Umfang des Versicherungsschutzes für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer klar und deutlich ist, ohne dass er etwa ergänzend in das Infektionsschutzgesetz schauen müsste. Eine ergänzende Bezugnahme auf die „im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten“ Krankheiten und Krankheitserreger werde der durchschnittliche Versicherungsnehmer lediglich als Klarstellung verstehen, dass sich die Beklagte bei der Abfassung des Katalogs inhaltlich an §§ 6 und 7 IfSG orientiert habe. Auch der dabei verwendeten Begriff „namentlich“ könne kein anderer Schluss gezogen werden. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer nehme nicht an, dass es sich hier im Sinne einer adverbialen Benutzung lediglich um ein Synonym für „insbesondere“, „vor allem“, „beispielsweise“ oder „hauptsächlich“ handeln solle.

Der durchschnittliche Versicherungsnehmer würde nicht davon ausgehen können, dass der Versicherer auch für nicht im Katalog aufgeführte Krankheiten und Krankheitserreger die Deckung übernehmen wolle, die erst Jahre nach Vertragsschluss auftreten und bei denen für den Versicherer wegen der Unklarheit des Haftungsrisikos keine sachgerechte Prämienkalkulation möglich sei.

Diesem Verständnis stehe auch der ausdrückliche Risikoausschluss von Prionenerkrankungen oder des Verdachts hierauf in § 4 Nr. 3 ZBSV 08 nicht entgegen

Die Klausel halte auch einer Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 und 2 BGB stand und benachteilige den Versicherungsnehmer auch nicht nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB unangemessen

(zum Ganzen BGH, Urteil vom 26.01.2022 – IV ZR 144/21

und

BGH, Beschluss vom 18.5.2022 – IV ZR 199/21 (ohne Klammerzusatz);

BGH, Beschluss vom 18.5.2022 – IV ZR 243/21 (Erläuterungen und Hinweisblatt);

BGH, Beschluss vom 18.5.2022 – IV ZR 252/21 (Rückwirkung);

BGH, Beschluss vom 21.09.2022 – IV ZR 305/21 (Catering) ;

BGH, Beschluss vom 21.09.2022 – IV ZR 332/21 (Business All Inclusive ohne Klammerzusatz);

BGH, Beschluss vom 21.9.2022 – IV ZR 467/21 (keine Ergänzung „im Sinne dieser Zusatzbedingungen“)).

c.

Achtung: wurde in den Versicherungsbedingungen der Versicherungsschutz ausdrücklich bei neuen, meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger ausgeschlossen, besteht sowieso keine Deckung!

III.

Weiterer Streitpunkt ist der Umfang der Versicherungsleistung.

1. Summen- oder Schadensversicherung?

Teilweise wird vertreten, die Betriebsschließungsversicherung sei in der Regel eine sog. Summenversicherung und keine Schadenversicherung. Liegen die Voraussetzungen des Versicherungsfalles vor, so sei die Versicherungsleistung – in der Regel eine Tagessatzpauschale für einen bestimmten Zeitraum (Haftzeit) – zu leisten. Auf die tatsächliche Höhe des Schadens komme es nicht an.

Allerdings wird ausweislich der AVB zur Versicherungsleistung teilweise auch der „Umfang der Entschädigung“ formuliert und auf notwendige Kosten zur Abwendung eines unmittelbar drohenden versicherten Schadens oder Minderung eines Schadens abgestellt. Die Verwendung der Begriffe „Entschädigung“ und „Schaden“ und das Abstellen auf eine Schadensminderungspflicht spricht daher eher für eine Schadensversicherung, auch wenn die Versicherungsleistung als Pauschale vereinbart wurde. Damit sind, sei es als Nachweis des konkreten Schadens oder zur dessen obligatorischen Minderung (siehe unten), die gesetzlichen Ersatzmöglichkeiten auszuschöpfen (z.B. öffentlich-rechtliche Entschädigungsansprüche nach den Bestimmungen des IfSG bzw. die Möglichkeiten der Beantragung von Kurzarbeitergeld gem. §§ 95 ff. SGB).

2. Obliegenheiten

In diesem Zusammenhang ist darauf hingewiesen, dass auch bei der Betriebsschließungs- oder Praxisausfall- oder erweiterten Betriebsunterbrechungsversicherung Obliegenheiten vor, während und nach dem Versicherungsfall zu beachten sind.

Daher ist – schon im eigenen Interesse und gerade bei Ausgestaltung als Schadensversicherung – zu prüfen, ob ein Anspruch auf Schadensersatz auf Grund öffentlich-rechtlichen Entschädigungsrechts geltend gemacht werden kann (z.B. nach den Bestimmungen des IfSG). Dem Versicherungsnehmer obliegt, unverzüglich entsprechende Anträge zu stellen.

Soweit der Versicherungsnehmer dem Versicherer diese Entschädigungsansprüche abritt, gewähren manche Versicherer dem Versicherungsnehmer auf dessen Anforderung sogar ein zinsloses Darlehen. Aber Achtung: wenn die anderweitig beantragte öffentlich-rechtliche Entschädigung rechtskräftig aberkannt wird, muss das Darlehen zurückbezahlt werden – und zwar unbeschadet etwaiger Rechte des Versicherungsnehmers auf die Versicherungsleistung.

RA Andreas Nowag Fachanwalt für Versicherungsrecht und Insolvenzrecht